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Mahnmal

Mahnmal für die deportierten Jüdinnen und Juden Ba

Ein Betonband in Form eines Davidsterns, etwa zwanzig auf zwanzig Meter groß, ist in eine Wiese auf dem Gelände der Tagungsstätte der Evangelischen Jugend in Neckarzimmern eingeschrieben. Dieser Davidstern bietet Platz für Erinnerungssteine aus den 137 badischen Gemeinden, deren jüdische Bürger am 22. Oktober 1940 auf Befehl des badischen NSDAP-Gauleiters Robert Wagner nach Gurs in Südwestfrankreich verschleppt wurden. Die Erinnerungssteine werden von Jugendgruppen und Schulklassen im Rahmen des „Ökumenischen Jugendprojekts Mahnmal“ geschaffen. Im Oktober 2011 hatten sie bereits 99 Steine fertig gestellt. Das Jugendprojekt wird abgeschlossen sein, sobald der letzte Stein gesetzt ist. Eine Stele vor dem Mahnmal erläutert das Projekt und die Geschichte der Deportation in das Lager Gurs.
Hintergründe
Jürgen Stude

Am 23. Oktober 2005 wurde auf dem Gelände der Tagungsstätte der Evangelischen Jugend in Neckarzimmern das Mahnmal zur Erinnerung an die am 22. Oktober 1940 ins südwestfranzösische Gurs deportierten badischen Juden der Öffentlichkeit übergeben. Auf einer frei zugänglichen Wiese des Tagungsgeländes bildet ein Betonfundament einen 25 mal 25 Meter großen Davidstern. Diese Bodenskulptur bietet Platz für Erinnerungssteine aus den 137 Deportationsorten. Bei der Übergabe umfasste das Neckarzimmerer Mahnmal Steine aus 41 Orten. Es ist die einzige Gedenkstätte in Baden, die an die landesweite Deportation am 22. Oktober 1940 erinnert. Es entstand im Rahmen des ökumenischen „Jugendprojekts Mahnmal“. Die Schirmherrschaft haben die Kultusminister des Landes, Frau Dr. Annette Schavan bzw. ihr Nachfolger Helmut Rau.

Die Deportation der badischen Juden in das Lager Gurs

Ausgangspunkt des „Jugendprojektes Mahnmal“ ist die Deportation am 22. Oktober 1940, dem schwarzen Tag in der badischen Geschichte. Die Opfer waren von der Aktion völlig überrascht, als an diesem Tag Gestapo-Männer an ihren Wohnungstüren erschienen und sie aufforderten, ihre Sachen zu packen. Für den Transport der etwa 6 500 Personen aus Baden, der Pfalz und dem Saarland stellte die Reichsbahn neun Sonderzüge bereit, die bei Breisach den Rhein passierten und von den getäuschten französischen Behörden in das südwestfranzösische Internierungslager Gurs weitergeleitet wurden. Durch Stacheldraht von der Außenwelt getrennt, waren die Deportierten auf einer Fläche von etwa drei Quadratkilometer unter verheerenden Bedingungen eingesperrt. Die meisten Todesopfer, vor allem ältere und gebrechliche Menschen, die den katastrophalen Lagerbedingungen nicht standhalten konnten, forderten die Wintermonate von November 1940 bis April 1941.
Das Lager Gurs mit seinen Nebenlagern ist nicht mit den Todeslagern im Osten zu vergleichen; es war kein Vernichtungslager wie Auschwitz oder Treblinka. Einem Teil der Deportierten, die im Besitz von Auswanderungspapieren waren, gelang es bis zum Sommer 1942, legal auszuwandern, allerdings nur in solche Länder, die nicht oder noch nicht in den Krieg eingetreten waren. Anderen gelang es mit Hilfe von Widerstandsgruppen und Hilfsorganisationen, aus den Lagern zu fliehen und im Untergrund die Verfolgungszeit zu überleben. Für einen Großteil der Deportierten bedeutete Gurs jedoch nur eine schreckliche Zwischenstation auf ihrem weiteren Leidensweg. Ab März 1942 veranlasste Theodor Dannecker, der Leiter des Judenreferates der Gestapo und Bevollmächtigter Eichmanns in Frankreich, die Deportation aller dort lebenden Juden nach dem Osten. Die aus Viehwaggons zusammengestellten Deportationszüge wurden über das Sammellager Drancy im Norden von Paris nach Auschwitz oder Sobibor weitergeleitet. Die meisten der Deportierten wurden noch am Tag ihrer Ankunft in den Vernichtungslagern ermordet.


Die Idee des Jugendprojekts

In Baden waren über 5 600 Personen aus insgesamt 137 Gemeinden von der Deportation betroffen. Die meisten von ihnen lebten in Mannheim (über 2000 Personen) und in Karlsruhe (etwa 900), aus einigen Orten wurde nur eine Person deportiert, wie beispielsweise aus dem kleinen Weiler Saig im Hochschwarzwald. In etlichen der 137 Gemeinden ist heute das Gedenken an den 22. Oktober 1940 Teil der kommunalen Erinnerungskultur, in anderen Orten ist nicht einmal mehr bekannt, dass jüdische Menschen dort lebten und von dort verschleppt wurden.
Die Idee des Jugendprojektes ist so einfach wie genial: In jedem der Deportationsorte sollen Jugendgruppen oder Schulklassen sich mit der Deportationsgeschichte auseinandersetzen und zwei Gedenksteine gestalten. Einer der beiden Steine soll in der Gemeinde bleiben und dort einen angemessen Standort erhalten, der andere wird Teil des zentralen Mahnmals in Neckarzimmern. So hat das Projekt einen dualen Charakter mit dem Mahnmal als zentralen Fixpunkt und den dezentralen Aktivitäten der Gruppen vor Ort. Der künstlerische Leiter des Projektes, Karl Vollmer aus Gondelsheim, von dem der Entwurf für die Bodenskulptur stammt, verweist auf den Prozesscharakter des Projektes. Er selbst habe lediglich den „statischen Teil“ geschaffen. „Der andere Teil – der dynamische – ist die Erinnerungsarbeit der Jugend in den Heimatgemeinden und die Anfertigung der Steine als Erinnerungszeichen.“ Das ursprünglich von dem katholischen Arbeitkreis „erinnern und begegnen – forum christlicher gedenkarbeit“ entwickelte Projekt wird heute von der katholischen und evangelischen Jugendarbeit der Erzdiözese Freiburg und der Evangelischen Landeskirche Baden getragen. Die ökumenische Dimension erweitert den Kreis der ansprechbaren Gruppen und Personen. Das Projekt wird erst abgeschlossen sein, wenn alle 137 Steine aus den 137 Deportationsorten auf der Bodenskulptur versammelt sind.


Der Standort Neckarzimmern

Das zentrale Mahnmal sollte seinen Standort auf dem Gelände einer kirchlichen Einrichtung finden, die von vielen Jugendlichen besucht wird. Nach längerer Suche entlang der Rheinschiene fand sich schließlich in der Tagungsstätte Neckarzimmern ein geeigneter Ort. Neckarzimmern war selber einer der Deportationsorte. Die Tagungsstätte hat für das Projekt eine zusätzliche Symbolkraft, da auf ihrem Gelände während des Zweiten Weltkrieges Zwangsarbeiter interniert wurden. Aber auch andere Orte am Oberen Neckar waren Schauplatz nationalsozialistischer Verfolgung. KZ-Häftlinge mussten Zwangsarbeit in den Gipsstollen für die Rüstungsindustrie leisten, die zahlreichen Mitglieder der jüdischen Gemeinden der Region fielen dem Rassenwahn zum Opfer – unter ihnen auch die israelitische Gemeinde Neckarzimmern, deren dort noch ansässige zwölf Mitglieder ebenfalls am 22. Oktober 1940 verschleppt wurden. Diese dunkle Seite der Geschichte wird an etlichen Gedenkstätten und Gedenkorten in der Region dokumentiert. Das Mahnmal in Neckarzimmern ist ein weiterer Baustein in der Erinnerungskultur der Region.


Die Umsetzung des Projektes durch die Gruppen

Die Zielgruppen des Projektes sind in erster Linie kirchliche Jugendgruppen, Firm- und Konfirmandengruppen und Pfadfinderstämme. Eine Arbeitshilfe gibt Anleitung für die Spurensuche vor Ort. Außerdem werden Fragen formuliert, die für die Jugendlichen bei der Spurensuche hilfreich sein können. Im Zentrum des Projektes stehen natürlich die beiden Gedenksteine, die für jeden der Deportationsorte gestaltet werden sollen. Dazu gibt es Vorgaben, wie etwa die Größe der Steine (Höhe circa 100 cm, Breite circa 50 cm). Beachtlich sind die dokumentarischen Ergebnisse. Manche Gruppen organisierten eine Ausstellung über die Deportierten, andere entwarfen eine Homepage oder verfassten eine Broschüre über die Schicksale der Deportierten aus ihrer Gemeinde. In der Regel haben die Gegenstücke der auf dem Mahnmal angebrachten Steine einen würdigen Platz in der jeweiligen Heimatgemeinde gefunden. Verschiedentlich gab es Widerstände, beispielsweise in einer Gemeinde in Nordbaden, wo eine Leserbriefkampagne gestartet wurde, um die Aufstellung des Steines auf dem zentralen Gemeindeplatz zu verhindern. Der Tenor der Kampagne lautete: Ein Holocaust-Mahnmal in Berlin ist genug.
Bei einer von der Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg
durchgeführten deutsch-französischen Gedenkstättentagung im Frühjahr 2005 lernte Émile Vallès vom Freundeskreis des ehemaligen Internierungslagers Gurs (l’Amicale du camp de Gurs) das Mahnmalprojekt kennen. Dies regte den Freundeskreis an, ebenfalls einen Stein für Neckarzimmern zu fertigen. Dazu Émile Vallès: „Sofort als wir von diesem Projekt erfuhren, kamen wir auf die Idee, diesem Mahnmal im Namen der ‚Amicale de Gurs‘ einen 138sten Stein hinzuzufügen …, einen Stein aus Gurs. Dieser letzte Stein, der die 137 anderen ergänzt, soll das tragische und unauflösbare Band symbolisieren, das die Einwohner des Béarn mit den badischen Gemeinden verbindet. Wir haben die Vorstellung entwickelt, dass der Stein aus Gurs einen Koffer darstellen könnte. Denn kann ein Koffer nicht das treffende Symbol für diese überstürzte Trennung sein, für den Abschied von jedem geordneten Familienleben und den Abtransport ins Exil? Und was tut man in einen Koffer, wenn man zur Eile gedrängt wird, entsetzt und angstvoll Abschied nehmen muss, wenn man schon ahnt, dass man vielleicht niemals zurückkehrt? Und wie soll man sich in einer solchen Situation entscheiden, zwischen dem eventuell in der neuen Lebenssituation Notwendigen und den liebgewordenen Andenken, die man zurücklassen muss? Der Koffer soll auf diesen Bruch und tiefen seelischen Schmerz hinweisen.“
Das Mahnmal stößt bei den in der Tagungsstätte untergebrachten Gruppen und Schulklassen auf großes Interesse. Etliche integrieren es in ihr Tagungsoder Freizeitprogramm. Es kommen auch Gruppen aus den Deportationsorten und besuchen die Gedenkstätten der Umgebung. Interessant ist die Beobachtung, dass nicht nur Jugendliche, sondern zunehmend auch Einzelbesucher, Wandergruppen oder Menschen jeden Alters, die einen persönlichen Bezug zu den Deportierten des 22. Oktober 1940 haben, den Weg nach Neckarzimmern finden. Die für das Mahnmal verantwortlichen tragen dieser Entwicklung Rechnung, indem sie Arbeitshilfen und Informationsmaterialien für Besucher und interessierte Gruppen bereitstellen.

Jürgen Stude, geboren 1953, ist Diplom-Religionspädagoge und Landesjugendreferent der Evangelischen Landeskirche Baden im Bereich Friedensdienste. Er ist Erster Vorsitzender des Fördervereins Ehemalige Synagoge Kippenheim e. V. und hat mehrere Arbeiten zur Geschichte der Ortenauer Juden und der Juden im Raum Bruchsal vorgelegt.


Quellnachweis:
Wikipedia